Fröhliche Friedhöfe?
Sehr viele kamen zur Einladung des Literaturkreises in die Bibliothek. Die – fast schon nach guter Tradition – vortragende Elke Nußbaum war eingeladen und sprach über Friedhöfe, deren Vergangenheit und Zukunft.
Was verbinden wir mit einem Friedhof? Trauer und Alleinsein? Eine Feier des Lebens? Glaube oder Weltlichkeit? Fragen, die dem Einzelnen auf den ersten Blick gar nicht so offensichtlich erscheinen mögen, hat doch jeder sein eigenes Empfinden, wenn es um das Thema Friedhöfe geht.
Elke Nußbaum war am 10.10.2019 in den Literaturkreis eingeladen und man hatte das auf den ersten Blick eher schwere Thema „Friedhofsspaziergänge“ gewählt. Thomas begrüßte traditionell die Zuhörer, es waren diesmal mit über 30 außergewöhnlich viele, und es wurde schnell klar: hier hat jemand Spaß an der Erkundung von Friedhöfen und ihrer Spiegelung gesellschaftlicher Wirklichkeiten. Und sie war nicht allein. Die ZWAR-Melatenbesucher dieses Jahres waren zahlreich erschienen, auch um nochmal einen anderen Blick auf ihren vergangenen Besuch auf den Kölner Friedhof zu werfen.
Rechtschaffene und Pestopfer
In einem ersten Exkurs ging es um die Tradition der Bestattung in frühen Zeiten des letzten Jahrtausends: Beinhäuser, Totentänze und das ‚Memento Mori‘, das Bewusstein der Sterblichkeit und Vergänglichkeit. Es existiert kein Platz für Totenkulte oder eine romantisierende Sehnsucht nach der Ewigkeit. Bilder vom Hans Holbein dem Jüngeren aus dem 16. Jahrhundert zeigen: die Pest kennt weder Stand noch Klasse. Und man hat irgendwie Lust am Grauen.
Aber dennoch: die Friedhöfe der Zeit unterteilen in Arm und Reich, ‚Rechtschaffenheit‘ trennt man von Unglauben. Die Bestattung und das Grab kennen keine Gleichheit vor und im Tod. Wer es sich leisten darf, wird nah an der Kirche beerdigt. Wer es sich noch mehr leisten will, in der Kirche, möglichst nah am Altar. Und wessen Wichtigkeit es vorgibt, der bekommt einen Sarg und wird mit Gebeinen für die Nachwelt erhalten.
Die Romantisierung des Todes
Am Beispiel von Arnold Böcklins ‚Toteninsel‘ wird symbolisch klar: Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die Sichtweise auf den Tod verändert. Man sieht einen morbiden Abgesang auf die alte europäische Kultur und erkennt, dass auf der Toteninsel der Mensch seine Spuren hinterlassen hat. Der ‚Übergang‘ wird romantisch verklärt, so sehr, dass Böcklin mindestens fünf Versionen liefert. Kaiser Wilhelm II. besitzt eine, eine Version für Fritz Gurlitt erwirbt Adolf Hitler. Die abgebildete Version hängt heute in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Eine weitere Version verbrennt in einer Berliner Bankfiliale im Zweiten Weltkrieg.
Weltkriege brauchen neue Orte des Gedenkens
Mit den Weltkriegen benötigt allein die Menge an Toten neue Erinnerungs- und Gedenkformen. Gräber werden anonymer und wie schon zu Zeiten der Pest wieder ‚massentauglicher‘. Aber der Unterschied ist jetzt: Totenkultur ist oft Erinnerungskultur an Kriege und Verbrechen.
Aber es bilden sich auch moderne Formen der Erinnerung und der Freude an Friedhofskultur heraus: Taphophilie, die Liebe an Todesriten und Gräbern, lässt anfangs vor allem im englischsprachigen Raum Menschen Spaß am Erkunden von genealogischen und historischen Hintergründen haben – oder einfach nur an den Friedhöfen an sich.
Und weiterhin ist Prominenz ein treibender Faktor: neue Friedhöfe machen sich sich die Berühmtheit ihrer Toten zu nutze. Frau Nußbaum zeigt uns an drei Beispielen die Entwicklung moderner Friedhofskultur.
Friedhofsrundgang 1.: Highgate, London
Viktorianische Exzentrizitäten, Gräber deren treue Hunde eine größere Rolle spielen als ihre Herrchen und Weltkriegs-Pianisten von denen man heute weniger weiß, als ihr Grab groß ist – das kennzeichnet heute das Highgate Cemetary im heutigen Londoner Stadteil Camden,
Gegründet 1832 als Antwort auf die erschöpften Bestattungsmöglichkeiten innerhalb Londons, ist er einer von mehreren kommerziellen Friedhöfen, die zu allem Überfluss inzwischen Eintritt bei Besichtigungen nehmen.
Ein ironischer Zungenschlag der Geschichte ist das Highgate-Grab eines der größten deutschen Philosophen, des Begründers der Arbeiterbewegung und Kritikers des Kapitalismus Karl Marx. Heute muss man also mit Kapital bezahlen, um ‚Workers Of All Lands Unite‘ zu lesen. Immerhin erfährt man, zumindest unter guter Führung, dass hier Karl Marx mit seiner adligen Frau nebst Nanny Helena Demuth und Enkel in einem Grab liegen, an dem Friedrich Engels die Trauerrede hielt.
Friedhofsrundgang 2.: Père-Lachaise, Paris
Auf den im Osten von Paris gelegenen Gärten des Père Lachaise wurde der erste Parkfriedhof der Welt angelegt, der heute eine der meitsbesuchten Stätten in Paris ist. Hier hat man, um den außerhalb der Stadt gelegenen Friedhof attraktiv zu machen, früh auf etwas gesetzt, was heute noch die Meisten auf den Friedhof zieht: Prominenz.
Eines der ersten Gräber, das für Akzeptanz sorgte, war das von Molière. Inzwischen haben viele Gräber Kultstatus, das von der Piaf, die Überreste von Chopin (zumindest alles außer seinem Herzen, das in Polen liegt und bis heute für Diskussionen sorgt, ob er nun Pole oder Franzose ist), Jim Morrison von den Doors, Oscar Wildes Grab als Anziehungspunkt der Literaturanhänger und der schwulen Fans.
Friedhofsrundgang 3.: Melatenfriedhof, Köln
In Köln konzentriert sich Frau Nußbaum, wie könnte es anders sein, auf den Karneval. Gräber von Willi Ostermann, Toni Steingass, Jupp Schmitz oder auch der Familie Millowitsch: neben den vielen anderen sind sie heute immer noch ein Anziehungspunkt für viele Fans und Friedhofsinteressierte.
Die Zukunft der Erinnerung
Wie sieht die Zukunft der Friedhofskultur aus? Frau Nußbaum wagt einen Ausblick von den Kreuzen der Unfallopfer am Straßenrand bis zu möglichen virtuellen Gräbern im Internet. Erinnerungskultur befindet sich weiterhin im Wandel. Gemeinschaftsgräber von Fussballfans oder das ‚Familiengrab‘ der Toten Hosen am Düsseldorfer Südfriedhof: man sucht neue Begräbnisformen. Vom anonymen Pestgrab im Mittelalter zum persönlichen Erinnerungsort für Angehörige heute – eine weite Entwicklung.
Insgesamt ein spannender Abend, in fast zu dunkler und fast zu befüllter Atmosphäre mit einem erhellenden Thema: Friedhöfe sind das, was wir damit verbinden. Der Tod, er passierte schon vielen vor uns – es liegt wohl an den uns Nachfolgenden, was sie daraus machen.
Man nahm sich vor, nächstes Jahr einmal näher in die jüdische Friedhofskultur einzutauchen, in Langenfeld gibt es einen jüdischen Friedhof, der besucht werden will. „Und in Solingen auch!“, so zumindest der Zwischenruf eines Zuhörers. Wir warten ganz gespannt auf die nächsten Pläne. Einigen mag es zu morbide erscheinen, aber wir sind schon fast echte Taphophile, Frau Nußbaum sei dank.
Während ich mir Gedanken machte zu einem Kommentar, fiel mir das evangelische Magazin „chrismon“ in die Hände und ich konnte mich an einen Artikel erinnern „Trends in der Friedhofswelt“ .
Frau Nussbaum hatte uns auch Formen moderner Särge gezeigt, die Assoziation war also schnell hergestellt. In diesem Artikel gibt es auf 65 Fragen 65 Antworten; z.B. „Gilt immer noch Friehofszwang?“ In der Regel ja, mit einer Ausnahme: Bremen hat den Friedhofszwang abgeschafft. Angehörige dürfen die Asche auf privatem Grund verstreuen, wenn der/die Verstorbene das zu Lebzeiten schriftlich verfügt hat. Oder der Melatenfriehof in Köln hat als neues Modul (verschiedene Grabtypen) einen Bauerngarten mit Staketenzaun und Spalierobst.
Ein Grund mehr, den Friedhof noch einmal zu besuchen.
Thomas