Wie einem Vogel die Hand hinhalten

Die Germanistin Elke Nußbaum war erneut in die Bilbiothek eingeladen und sprach vor dem Literaturkreis und weiteren Gästen über Frieden in der Literatur.

Elke Nußbaum hatte mit dem Literaturkreis für den 28.11.2019 diesmal nach den „Friedhofsspaziergängen“ ein positiver besetztes Thema gewählt: „Frieden in der Literatur“.

Und man sollte meinen: Warum sollte Frieden ein Thema für uns sein? Schliesslich leben wir doch seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland in eben diesem. Da fordert Frau Nußbaum dann doch schnell zum Blickwechsel auf; seit dem Zweiten Weltkrieg habe es keinen Tag gegeben, an dem auf unserer Erde kein Krieg herrschte.

In einem selbsternannten ‚Parforce-Ritt‘ jagt sie dann die Zuhörer durch fast zweieinhalb Jahrtausende Literaturgeschichte: China, Altindien, Vorderasien und mediterrane Kulturen am Beispiel Laotses und Sophokles, der Barock in Zeiten des 30-jährigen Krieges, Aufklärung, Weltkriege und Friedensbewegung – die Friedensschriften entwickeln sich von der Sehnsucht nach Frieden über die direkte Darstellung von Gewaltformen hin zur pazifistischen Literatur der Moderne. Aber trotz allem verbindet die Schreibenden eines über die Jahrtausende: die Suche nach der Antwort, was jeder Einzelne tun kann, um Kriege zu verhindern.

Mit einem elfseitigem literarischen Auszug zum Mitlesen motivierend, zeigt Frau Nußbaum den Zuhörern hervorragend an Beispielen, wie Künstler über Frieden geschrieben haben. ‚Zeigen‘ ist dabei untertrieben: sie lebt die Texte und trägt sie wie immer mit viel schauspielerischem Talent vor. Und man spürt, wie sehr ihr das Thema am Herzen liegt: Frieden nicht als die Abwesenheit von Krieg, sondern als Basis für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Ende der Unterdrückung.

Nicht müde werden

Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.

Hilde Domin (1909 – 2006)

Mit längeren Beispielen steigt sie tiefer ein und berührt mehrfach ganz besonders: Das Gedicht „Thränen des Vaterlandes / Anno 1636“ des 19-Jährigen Andreas Gryphius spricht von einem Seelenschatz, am Ende des Vortrags von Wolfgang Borcherts „Dann gibt es nur eins“ ist die Stille in der Bibliothek fast andächtig. Bei Dorothee Sölles „Der dritte Weg“ spürt man die eigene Lebenserfahrung und auch bei dem sehr kurzen „Nicht müde werden“ von Hilde Domin das Herzblut, das in den Vortrag fließt.

Im anschließenden Gespräch diskutiert man angeregt über die Friedensbotschaft, die zwar weihnachtlich passend, aber doch fast unabhängig davon ist. Und es bleibt trotz aller Versöhnlichkeit am Ende die Erkenntnis, dass sich in vielen Jahrtausenden an den Wünschen der Menschen nicht viel geändert hat:
Frieden ist den Menschen ein Wohlgefallen.

Frau Nußbaum wird im nächsten Jahr weitere fünf Mal nach Wiescheid zurückkehren, die angekündigten Themen – ‚Kurt Tucholsky‘, ‚Günter Grass‘ und ‚Jüdische Friedhöfe‘, um nur einige zu nennen – versprechen erneut spannend und inspirierend zu werden.

4 Gedanken zu „Wie einem Vogel die Hand hinhalten

  • 29. November 2019 um 15:14
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    Wow, ist das toll geschrieben. Ich war dabei. Und wer nicht dabei war, war nach dem Lesen dieses Beitrages auch dabei. Großes Kompliment.
    Verena

  • 29. November 2019 um 16:36
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    Hallo, als Organisator kann ich nicht besser formulieren über das, was Frau Nußbaum referiert hat. Ich möchte noch LAOTSE erwähnen, der vor über 2000 Jahren folgendes geschrieben hat, er nennt es Spruchdichtungen:
    Damit es Frieden in der Welt gibt,
    müssen die Volker in Frieden leben.

    Damit es Frieden zwischen den Völkern gibt,
    dürfen sich die Städte nicht gegeneinander erheben.

    Damit es Frieden in den Städten gibt,
    müssen sich die Nachbarn verstehen.

    Damit es Frieden zwischen den Nachbarn gibt,
    muss im eigenen Haus Frieden herrschen.

    Damit im Haus Frieden herrscht,
    muss man ihn im eigenen Herzen finden.

    Ist es nicht einfach Frieden zu haben????!!!!
    Grüße Thomas

  • 9. Dezember 2019 um 11:37
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    So gut könnte ich kaum meinen eigenen Vortrag wiedergeben.
    Dafür herzlichen Dank
    Elke Nußbaum

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